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Sophie Hunger Molecules
Alte Zöpfe mussten ab: Mit ihrem neuen Album „Molecules“ begibt sich die Schweizer Songwriterin Sophie Hunger in eine spannende Kreativzone zwischen Folk und Elektropop (Foto: M. Lahana)

Sophie Hunger Molecules – die CD der KW 38

Wenn Frauen mit einem radikal neuen Haarschnitt vom Frisör ihres Vertrauens zurückkehren und hinterher nur noch einen Bruchteil der Haare auf ihrem Kopf haben als drei Stunden zuvor, dürfte auch dem größten Holzkopf dämmern: Hoppla, hier beginnt jemand eine neue Lebensphase. Ungefähr so verhält es sich mit Sophie Hunger und ihrem neuen Album Sophie Hunger Molecules. Mit einer Art soundtechnischem Haircut hat die Schweizerin alte Zöpfe abgeschnitten und setzt ihren chansonesken Indie-Folkpop nun resolut-raffiniert unter Strom.

Und weg damit: Für Sophie Hunger Molecules hat die Berner Musikerin quasi den Reset-Knopf gedrückt und ihr Klanginterieur grundlegend erneuert. Bewegte sie sich bis zu Supermoon (2015) in einem Soundkosmos aus Songwritertum von Chanson über Folk bis Jazz, so geben jetzt Synthies, Loops und Drum Machines den Ton an.

Was seither geschah? Ein Kurs in Sachen Ton- und Aufnahmetechnik in Los Angeles beispielsweise – Sophie Hunger war es leid, in zu hohem Maße von den Technikkollegen hinter der Studioscheibe abhängig zu sein, die die Regler schieben und Knöpfchen drehen. Außerdem: ein Umzug nach Berlin mit inzwischen einer langen Reihe von Nächten in diversen Berliner Techno-Clubs wie dem Berghain sowie – ja doch – eine in die Brüche gegangene Beziehung.

Was gleichgeblieben ist bei Sophie Hunger: jene beständige, tief verwurzelte Flucht vor kreativer Stagnation und der Langeweile, auch der Langeweile mit sich selbst. Doch Sophie Hunger Molecules ist mehr Evolution als Revolution.

Die 35-Jährige bleibt bei ihrer Suche nach Neuland vollkommen bei sich, mit all ihren Verletzlichkeiten, Nachdenklichkeiten, Sehnsüchten. Auch mit pochenden Beats und mit mal resolut, mal behutsam formulierten Synthiesounds ist Miss Sophie sofort als eine sehr nüchterne Version ihrer selbst wiedererkennbar.

Ihre sanft gezupfte Akustikgitarre durfte bleiben, und auch ihr Gesang tönt vertraut: unaufdringlich, selbstbewusst, stets begleitet von einem Rest an reizvoller Unergründlichkeit.

„Minimal Electronic Folk“ nennt sie die Musik von Sophie Hunger Molecules – einer Platte, die trotz kühler Untertöne ihr bisher vielleicht persönlichstes Werk geworden ist. „Dieses Album ist etwas heikel für mich, weil ich es bisher vermieden habe, so direkt zu schreiben“, erläutert sie. „Aber dann kommt so eine Trennung … das ist Dekonstruktion – so, als würden die Dinge wieder in ihre kleinsten Teile zerfallen.“

Ähnliches passiere derzeit ja auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, zieht Sophie Hunger Parallelen; auch hier würden Strukturen zerlegt und zerfielen Institutionen – „und auf eine komische Weise muss man so etwas auch noch begrüßen, weil es so vorwärts geht. Songs wie ‘Let It Come Down’ oder ‘Elektropolis’, eine Hymne an Berlin, entstanden zum Beispiel aus diesem Gefühl.“

Die Musik von Sophie Hunger Molecules

„There Is Still Pain Left“ wiederum erzählt von der Liebe zu einem hochdepressiven Partner; „Cou Cou“ von den Menschen, die nach dem Ende einer Beziehung übrigbleiben. „Es gab auch zwei kleine Kinder, und als ich gehen musste, wurde mir klar, dass ich somit Ex-Kinder haben würde. Ich habe nicht nur den Mann verloren, sondern auch die Kinder, und das ist eine ganz andere Art von Trennung.“

Doch auch Politisches und der momentane „way of life“ sind Themen von Sophie Hunger Molecules. Eröffnet wird der Songreigen etwa mit dem metrisch groovenden „She Makes President“ – hier kommentiert Sophie Hunger das Paradoxon, dass ausgerechnet die amerikanischen Wählerinnen Donald Trump zum Präsidenten machten und sich „wieder einmal als Henkerinnen ihrer eigenen Machtergreifung erwiesen“.

Korrupten Politikern und Bankern schaut dann das von einem alten Yamaha CS-80-Synthie angetriebene, lupenrein tanzflächentaugliche und leicht krautrockige „Tricks“ auf die Finger, um abschließend zu fragen: „What are you gonna do, when your dreams have all come true“?

Auch „I Opened A Bar“ gehört mit Discogeklöppel und Sprechgesang im Stil von Ann Clark zu den klar danceflooraffinen Tracks von Molecules. Doch nicht technoid-pulsierend klingen all diese elektronischen Chansons, sondern sehr sophisticated in ihrer stilsicheren Modernität, in ihrer Wechselspannung zwischen Anonymität und Intimität – wer Vergleiche sucht, sollte eher an die leichtfüßigen Klangwelten der englischen Synthpopper Metronomy denken (remember „The English Riviera“?).

Am anderen Ende der Dynamikskala angesiedelt ist „Silver Lane“, eine nur minimal rhythmisierte und lediglich im Schlussdrittel dezent unter Strom gesetzte Akustikgitarrenballade, die fast wie ein molekularer Fremdkörper wirkt. Als metaphorischen roten Faden auf Sophie Hunger Molecules bezeichnet die Künstlerin übrigens das Thema „Masse“ in physikalisch-chemischem Sinn – gemeint sind Stoffe von Insulin über Nitroglyzerin bis Zelluloid.

„Ich wollte ein Vokabular haben, das die materielle Wirklichkeit meiner Welt widerspiegelt“, erklärt sie. „Wenn klassische Singer-Songwriter-Vokabeln früher einmal bones, blood and birds waren, müssten das heute plastic, plutonium und particles sein.“

Nach fluffig dahingleitenden, auch tontechnisch wunderbar eleganten 40:17 entpuppt sich Sophie Hunger Molecules als ein modernes, zugleich sehr zeitlos gestyltes Klangmolekül, das zeigt, was im Genre Elektropop jenseits bewährter Soundwelten alles möglich ist.

Trotz ihres instrumentalen Radikalschnitts bleibt Sophie Hunger bei diesem für sie bisher ungewöhnlichen Werk auf angenehme Art bei sich und zeigt sich immun gegen den Trend der krampfhaften Neuerfindung ihrer Selbst. Vom Zeitgeist getrieben, innerlich gehetzt oder ohne eigenen seelischen Kompass umherirrend ist die Lady aus Bern nämlich keineswegs, sondern vielmehr eine wohltuend unstet-neugierige Künstlerpersönlichkeit, die gerne auch mal gegen den Uhrzeigersinn tickt – das allerdings mit Schweizer Präzision und Disziplin.

Sophie Hunger Molecules
Sophie Hunger Molecules (Cover: Amazon)

Sophie Hunger Molecules erscheint bei Caroline im Vertrieb von Universal Music und ist erhältlich als CD, LP und MP3-Download.

Sophie Hunger Molecules
2018/09
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
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Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Autor: Christof Hammer

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Seit vielen Jahrzehnten Musikredakteur mit dem Näschen für das Besondere, aber mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Elektro-Pop.